Irrelevant bleiben
Als Autor, Künstler, obwohl ich ungern mit diesen Selbstbezeichnungen beginne, es aber doch häufig tue, oder also, als jemand, der schreibt oder etwas kreiert, kommt der Gedanke der Relevanz des eigenen Schaffens, was die Aktualität der Themen oder der Zeit anbelangt, schon einmal auf. Hier und da, dann und wann, jedenfalls. Und angesichts einem Schattendasein in dieser Welt, auch sicher öfter als mir lieb ist, doch diese Gedanken sind da und eigentlich völlig natürlich.
In solchen Augenblicken versucht man sich zu überlegen, worüber man schreiben, was die Menschen interessieren, vielleicht Leser gewinnen könnte und versucht sich an aktuellen Themen1 oder auch eigenen Erfahrungen2, die in jedem Fall einen aktuellen Zusammenhang haben, wie ich heute an einem sehr interessanten Artikel3 über Depression in Verbindung mit sozialen Netzwerken, lesen konnte, mir jedoch eingestehen musste, dass dies ein Thema war, dass mir vorschwebte, aber zu einem Artikel wurde, den ich nicht geschrieben habe.
Man erhält auch oft den Rat sich einem Thema zu widmen, was unbedingt und zweifelsohne naheläge, wie z.B. Japan in meinem Fall, oder sieht welche Themen, die Leute interessieren könnten, wobei man auch hier aus zahlreich vorhandenen Erfahrungen schöpfen kann, wie Erkrankungen, den Tod oder Streit, Sucht, Liebe usw. und so fort.
Auch beginnt man sich verzweifelt an relevantere, beispielsweise im Verlag, erschienene Bücher zu halten und versucht diese weiter zu streuen, da sie sich einem Thema widmen, dass ohne irgendein Zutun, fast wie von alleine Leser findet.
Und all dies wäre gut, wenn da nicht ein unerfindlicher Sog entstehen würde, den sehr bald ich in solchen Augenblicken empfinde. Dem Sog dann weiter diesem Irrweg der Aktualität und Relevanz folgen zu müssen, sich vielleicht darin, wie in einem Dickicht gleich, zu verlieren, ja süchtig danach und gefangen zu sein. Und am Ende sich selbst in diese Ketten geschlagen zu haben, wo es doch nicht wirklich eine Notwendigkeit dafür gab. Oder doch?
Kunst, oder die Schöpfung, ist ein zweischneidiges Schwert…
Als Mensch kann man nicht ohne gewisse Dinge überleben!
Und Kunst ist Arbeit, die viel Zeit beansprucht, aber sehr oft wenig Lohn einbringt, wodurch die Relevanz und Notwendigkeit doch immens steigen. Anstatt sich also der Themen zu widmen, die einen selbst beschäftigen, so wenig relevant sie im Augenblick auch sein mögen, sollte man da nicht lieber aktuell sein?
Doch bedeutet dies natürlich nicht sofort auch Erfolg oder Interesse. Es kommt schon darauf an, wer da schreibt, ob er oder sie eine Anhängerschaft haben oder nicht. Doch haben sie alle nicht einmal klein angefangen und sich durch gutes Handwerk und relevante Themen nach oben geschrieben, gespielt oder musiziert?
Kunst hatte schon immer dieses Problem…
Im Theater finanziert seit eh und je, die „leichtere“ Kost das künstlerisch Kostbare. Im Idealfall kann das Wertvolle auch erfolgreich sein. Auch dieser Fall existiert! Oftmals ist es jedoch andersherum, vielleicht in jedem Genre, ob Musik, Film, Bücher oder Theater.
Immer wieder werde ich, im Zweifel, an die Worte des französischen Choreographen aus meiner Studienzeit erinnert, als ich in der Oper sang und mit der Ballettgruppe an einem Tisch nach einer Vorstellung saß:
»Ein Künstler kann nur versuchen, er oder sie selbst zu sein, das zu kreieren, was einem vorschwebt, und darauf hoffen, dass es ein Publikum findet.«
Gut, er hatte seinen Weg gefunden, war fest angestellt und, mit ein wenig Sicherheit, relativ frei arbeiten zu können, lässt sich leicht etwas Derartiges sagen. Vielleicht hatte er aber gerade deswegen, aufgrund dieser Gedanken, dieser Wertvorstellungen, das erreicht, war dorthin gelangt wo er sich befand. Und seines guten Talents und Handwerks sicherlich.
»Kunst muss sich auch ein wenig dem Publikum anpassen!«, ist wohl einer der größten Streitpunkte und Uneinigkeiten mit meiner langjährigen künstlerischen Partnerin.
Darin jedoch, lag für mich eh und je, ein zweischneidiges Schwert, ein Irrweg, ein Sog, dem man so leicht nicht mehr entrinnen kann, auch wenn darin, zweifelsohne, viel Wahrheit liegt.
Aber dahin werde ich nicht kommen, da ich oft unfähig bin aktuell zu sein und mich Themen zu widmen, die Menschen interessieren.
Vielleicht ist es tatsächlich manchen Menschen gegeben oder sie arbeiten hart dafür oder zur richtigen Zeit am rechten Ort.
Ich bleibe irrelevant und werde still vor mich hin leiden, mit mir hadern, (ver)zweifeln und keinen Frieden finden, aber bei mir sein und meinem eigenen Wege folgen, der mich ebenfalls in die Irre treiben, führen oder weiter ins Abseits ziehen könnte. Vermag nur in mich zu hören, nachzudenken und zu verfassen, ob jemand zuhört, liest oder nicht… Denn:
»Wenn du das hervorbringst, was in Dir ist, wird das, was in Dir ist, deine Rettung sein. Wenn Du das was in Dir ist, nicht hervorbringst, wird das was in Dir ist, Dich vernichten.«, wie ein Freund heute andernorts aus den gnostischen Evangelien4 zitierte.
Ich bleibe nicht willentlich irrelevant, doch in der Irrelevanz werde ich verweilen bis man mein Werk entdeckt. Wird dies der Sog sein, vor dem ich mich so sehr fürchte?
RR, 15.12.2015 & 28.12.2016
- https://spurenkreis.de/journal/2016/10/06/mit-verschlossenen-sinnen-blind-taub-und-stumm/ ↩
- https://spurenkreis.de/journal/2016/08/04/warte-nicht/ ↩
- https://medium.com/@katikrause/facebook-s-mental-health-problem-9c48374c1bd8?source=linkShare-ec7570e3c4d0-1482905462 ↩
- http://www.zeit.de/1988/14/das-geheimnis-des-kruges-von-nag-hammadi/seite-3 ↩