Ein Augenblick der Stille
Von einem Zustand der Leere
Wenn ich im Titel „Stille“ schreibe, so ist dieser Begriff eigentlich nichtzutreffend. Just in dem Moment, da ich daran dachte, fiel mir das Wort „Stillstand“ dazu ein. Aber auch das trifft es nicht ganz. Vielleicht ist „Stillstand in der Stille“ passend, doch empfinde ich dies ebenso ungenügend für das beim Einschlafen erlebte.
Das was mir da widerfuhr war ein äußerst eigentümlicher Zustand zwischen Wach- und Traum- oder Schlafzustand.
Mir war, als existiere ich in einer Schwebe, genau an der Stelle zwischen Welten. Alles war still, farblos, ohne Gefühle und Gedanken, in perfekter Harmonie zueinander. Für Augenblicke schwebte ich, bevor ich meiner Selbst gewahr wurde und erwachte.
Die Wirklichkeit danach war noch immer eingetaucht in diese Stille. Und auch wenn ich ein wenig Angst empfand, war diese keinesfalls so stark wie bei den Panikattacken, die mich Monate zuvor eingeholt hatten, nachdem ich im Schlafe, entweder einen Ort zwischen den Welten besucht hatte oder, so glaube ich jetzt, mich vielleicht sogar an derselben Schwelle befand.
Es war ein seltsamer Zustand, frei von Schmerzen, Angst, negativen Gefühlen wie positiven. Eine unglaubliche Klarheit erfüllte mich. Alles war buchstäblich in der Schwebe. So muss es sich anfühlen diese Welt zu verlassen und in die nächste überzugehen, dachte ich.
Beim Festhalten dieses Erlebnisses kommt mir das buddhistische „Satori[1]“ in den Sinn und tatsächlich wird hier Ähnliches beschrieben, wie das was ich erlebt habe.
»Im Zen wird Satori konzeptionell als ein Bewusstsein erklärt, das nicht durch Eingriffe des unterscheidenden Intellekts beschränkt oder in seiner Sichtweite begrenzt wird. Meditative Erfahrungen, die dem Satori nahekommen und von Meditierenden beschrieben wurden, sind tendenziell Entgrenzungserfahrungen wie zum Beispiel eine beginnende Befreiung vom Ich oder von der Zeit. Menschen, die Satori erleben, sprechen von einem positiven „Gefühl der Leere“, von einem „unbedingten Glück“ und ähnlichen ganzheitlichen Erfahrungen. Die Satori-Erfahrung ist damit sowohl konkret wie auch metaphysisch begründbar.
Satori wird zwar oft als vorübergehender Zustand beschrieben, im Pali-Kanon jedoch als Grundzustand angegeben, der lediglich durch „Trübungen des Geistes“ (Kilesa) verdunkelt wird.«
Darüber hinaus bin ich auf den Begriff „Kenshō[2]“ gestoßen.
» Kenshō (jap. 見性; Erschauen des eigenen Wesens, Natur erkennen) ist eine geistige Erfahrung in der buddhistischen Tradition des Zens. Der Begriff bezeichnet ein initiales Erweckungserlebnis, bei dem der Erweckte seine eigene wahre oder Buddha Natur erkennt, die es ihm ermöglicht, fortan im täglichen Leben am Verständnis dieser Erkenntnis zu arbeiten.«
Bei beiden Zuständen gilt allerdings, dass sie durch Meditation und jahrelange Übung erreicht werden.
Bei mir ist dieser Zustand, was auch immer es war, wahrscheinlich nur durch Leid und Schmerz eingetreten.
Es war jedoch etwas, dass ich noch niemals erlebt habe. Vielleicht war es ein plötzliches „Satori“ oder eine plötzliche Erleuchtung.
Was auch immer es war, das Leiden und der Schmerz bahnen sich seinen Weg, wie Wasser durch eine Landschaft und bewegen mein Inneres auf seltsame Weise. Sie hinterlassen ihre Spuren, auf dass ich erwache.
Womöglich war es auch nicht das Leid, sondern mein Geist, der einen Ausweg sucht.
In jedem Fall war es ein wundersamer Zustand, der einem sowohl Furcht als auch Hoffnung macht und Sehnsucht erweckt. Furcht, nicht deswegen, sondern aufgrund der Ungewissheit des Erlebnisses Natur. Hoffnung, da es wie Linderung des Schmerzes und Heilung der Wunden war, eine Trance, in der das Leid keine Rolle mehr spielte. Und schließlich Sehnsucht, weil dieser Ort die Erfüllung aller Träume zu sein scheint.
Wie schon zuvor mischt sich aber eine Empfindung mit hinein, die von einem ganz anderen Ort erzählt.
Hier weiß ich nicht, ob es die Trauer ist, die aus mir spricht und mich für den Bruchteil eines Augenblicks glauben lässt, es war das Jenseits, welches ich kurz berührt habe.
Es war tatsächlich so, als verlasse ich meinen Körper für einige Momente, als schwebe ich und fahre wieder zurück werde geerdet.
Als ich dann die Augen öffnete, verspürte ich Angst. Die Müdigkeit drückte mir die Augen zu, aber ich wollte noch nicht wieder schlafen. Auch spürte ich, dass ich nicht allein war. So als seien Augen auf mich gerichtet und jemandes Gegenwart in meiner Gegenwart. Ich schlief dann dennoch ein und ruhte sanft bis zum Morgengrauen.
Die Erinnerung an den Zustand war seltsamerweise nicht wie eine Erinnerung, eher wie etwas erlebtes. Nicht das Erlebte selbst, sondern nur das Gefühl etwas erlebt zu haben, verschwindet in der Ferne und beginnt zu verblassen.
Wie dem auch sei und was es auch war, dieser „Ort“ oder vielmehr dieser Zustand war wunderbar, mit nichts in der Welt zu vergleichen. An ihn versetzt zu werden, muss keine Angst machen und muss nicht verzagen lassen.
Hier muss ich noch einmal anmerken, wie ratlos ich darüber bin was es eigentlich war und wie wenig ich weiß, in welchem Zustand ich mich befunden habe.
Was es auch immer gewesen ist, es war bewegend und zeugt einmal mehr vom Reichtum des menschlichen Geistes im Geringsten und vom Höchsten, da es weitaus mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als wir zu glauben scheinen.
RR, 13.11.2020
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Satori
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Kensh%C5%8D
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